BRC-20-Token sind aktuell der neue heiße Shice im Bitcoin-Land. Alle reden davon und während die einen die Entwicklung positiv sehen, Stichwort Gebührenmarkt, lehnen die anderen die Entwicklung als absoluten Schwachsinn ab, weil irgendwelche nutzlosen Meme-Token „echten“ Bitcoin-Transaktionen den Platz in der Blockchain rauben, sie unrentabel machen und die Sicherheit von Layer 2-Lösungen wie Lightning gefährden.
Große Aufregung also, die sich womöglich gerade schon wieder legt. Oder aber uns auf die ein oder andere Weise noch länger beschäftigen wird.
Weil genau das derzeit aber niemand mit Gewissheit vorhersagen kann, hier mal eine Zusammenfassung, worum es eigentlich genau geht und wie entspannt oder besorgt man das BRC-20-Token-Experiment auf der Bitcoin-Blockchain tatsächlich sehen sollte.
Was genau ist BRC-20 eigentlich?
Auf die naheliegende Frage, was BRC-20-Token überhaupt sind, gibt es eine einfache Antwort: eine wertlose Spielerei, auf deren Basis man keine finanziellen Entscheidungen treffen sollte. Das behauptet zumindest der „Erfinder“ des BRC-20-Standards @domodata in seiner Beschreibung dieses Experiments:
This is just a fun experimental standard demonstrating that you can create off-chain balance states with inscriptions. It by no means should be considered THE standard for fungibility on bitcoin with ordinals, as I believe there are almost certainly better design choices and optimization improvements to be made. Consequently, this is an extremely dynamic experiment, and I strongly discourage any financial decisions to be made on the basis of it’s design. I do, however, encourage the bitcoin community to tinker with standard designs and optimizations until a general consensus on best practices is met (or to decide that this is a bad idea altogether!).
Letztlich geht es darum, im Versuch-macht-klug-Verfahren die technischen Möglichkeiten der Bitcoin-Blockchain auszuloten. Was genau man dabei machen darf und was nicht, ist bekanntlich nirgends vorgegeben. Bei Bitcoin gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt nur Kann man machen und Kann man nicht machen. Und ob sich etwas, das man machen kann schlussendlich auch durchsetzt, entscheidet sich in der Praxis an Wird angenommen oder Wird ignoriert.
Von Ethereum lernen, heißt Geld drucken lernen
Genau an dieser Stelle sind wir bei BRC-20. Zunächst hat @domodata die Kann man (nicht) machen-Hürde genommen, indem er einen Weg gefunden hat, den ursprünglich für Ethereum entwickelten ERC-20-Token-Standard in deutlich abgespeckter Version auf die Bitcoin-Blockchain zu übertragen. Daher auch der angelehnte Name, der ansonsten keinerlei eigene Bedeutung hat.
BRC-20 ermöglicht es daher nun jedermann, neue, eigene Token „auf der Bitcoin-Blockchain“ zu emittieren und zu vermarkten. (Kleines Geschmäckle: Der ETC-20-Standard war es, der 2017 den großen ICO-Hype ausgelöst hat, der eine Vielzahl Betrüger mit leeren Versprechungen reich gemacht hat, während viele einfache Anleger ihr Geld verloren.)
Wobei das sehr viel aufregender klingt, als es tatsächlich ist. Denn ohne die sehr viel umfangreichere Smart Contract-Funktionalität von Ethereum sind die BRC-20-Token auf Bitcoin vergleichsweise primitiv. Wirklich viel kann man damit nicht machen. Außer natürlich spekulieren. Aber das reichte den Allermeisten auf Ethereum ja auch schon.
Und genau das ist in letzter Zeit im großen Stil passiert. Immer neue Token wurden kreiert und die Bitcoin-Blockchain mit BRC-20-Transaktionen überschwemmt, bis der Mempool schlussendlich aus allen Nähten platzte und die Transaktionsgebühren durch die Decke gingen. Ein Stresstest für Nutzer, Servicedienstleister und Infrastrukturanbieter. Ein Geldregen für findige BRC-20-Spekulanten und natürlich für die Miner.
Aufgrund der Konkurrenz um den begrenzten Blockspace waren manche Leute offensichtlich bereit (und andere vermutlich gezwungen) exorbitante Gebühren für ihre On-Chain-Transaktionen zu bezahlen. Mitunter gab es einzelne Blöcke die Gebühren von 5 Bitcoin (~125.000 Euro) oder mehr akkumulierten. Vereinzelt übertrafen die Gebühren sogar die Block-Subvention, also die derzeit 6,25 frischen Bitcoin (~150.000 Euro), die mit jedem neuen Block erzeugt werden.
Aktuell ebbt diese Welle jedoch wieder ab. Derzeit bekommen Miner pro Block „nur“ noch zwischen 20.000 Euro bis 50.000 Euro. Durchschnittliche Transaktionen auf der Blockchain kosten damit wieder im unteren einstelligen Euro-Bereich. Aus Nutzersicht ist das zwar immer noch nicht so billig wie früher™, lässt aber zumindest wieder einigermaßen planbare Standard-Bitcoin-Transaktion zu. Ein Faktor, der unter anderem für die Sicherheit von Lightning-Kanälen wichtig ist, die im Ernst- und Konfliktfall ja mit einer On-Chain-Transaktion geschlossen werden.
Angriff, Blase, Bug oder Feature?
Wobei hier nun die spannendste Frage kommt: Ist das BRC-20-Token-Experiment nun eher eine Bereicherung oder eine Gefahr für Bitcoin? Zeigt es womöglich einen neuen Angriffsvektor, mit dem sich das ganze System zuspammen und dauerhaft lahmlegen lässt? Oder ist es andersherum womöglich sogar wertvoll, weil es die Schwachstellen im Status Quo aufzeigt und notwendige Entwicklungen anstößt?
Eine abschließende Antwort darauf gibt es nicht.
Klar ist es auf den ersten Blick immer beunruhigend, wenn die Primärfunktion von Bitcoin, einfache Transaktionen zu tätigen, für einen längeren Zeitraum gestört ist oder sich zumindest so anfühlt. Doch sind die Prinzipien „Because we can!“ und permanenter Live-Stresstest letztlich fundamentaler Bestandteil der Bitcoin-DNA und dessen Trial-and-Error-Evolutionsstrategie.
Zudem sind solche Krisen reich an Informationen, zeigen potentielle Schwachstellen, schrecken träge gewordene Akteure auf und ordnen deren Prioritäten neu. Eine verstopfte Blockchain ist kurzfristig zwar ärgerlich für alle, kann mittelfristig aber bspw. die Lightning-Adaption oder die Entwicklung weiterer Layer-2-Protokolle pushen. Gleichzeitig wird das Narrativ des Gebührenmarktes getestet, ob dieser langfristig in der Lage ist, die sinkende Emission neuer Bitcoins zu kompensieren.
Davon abgesehen war das BRC-20-Experiment unausweichlich. Die ERC-20-Token-Blase von Ethereum auf Bitcoin zu holen, ist geistig so eine Low Hanging Fruit, das niemand ernsthaft davon überrascht sein darf, dass es irgendwann passieren würde. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Krypto-Spekulanten nur darauf gewartet haben, um sich dann wie ein Schwarm Schmeißfliegen auf einen frischen Haufen zu stürzen.
Was offen bleibt, ist jedoch die Frage, was am Ende vom BRC-20-Experiment bleiben wird. Möglicherweise ist es einer von vielen Zwischenschritten in einer Reihe von Entwicklung, an deren Ende dann tatsächlich ein Bitcoin-Token-Standard steht, der dann einen (heute vielleicht auch noch gar nicht erkennbaren) nützlichen Sinn und Zweck erfüllt.
Vielleicht ist es aber auch eine Sackgasse. Man hat es ausprobiert, aber die langfristig hohen Kosten rechtfertigen den geringen Nutzen einfach nicht.
Die Zeit wird es zeigen. Mein vollkommen subjektives Bauchgefühl würde derzeit eher auf Letzteres tippen. Es wäre aber auch nicht das erste Mal, dass Bitcoin mich überrascht.
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