Eigentlich bin ich ja der Meinung, dass sich das journalistische Niveau in Bezug auf die Berichterstattung rund um Bitcoin in den letzten Jahren merklich verbessert hat: mehr technisches Verständnis, ausführlichere Recherchen, differenziertere Schlussfolgerungen. Eigentlich.
Doch es gibt trotzdem immer wieder Ausreißer, die den Durchschnitt mit aller Macht in die Tiefe ziehen wollen. Wie zum Beispiel dieser Beitrag Bitcoin ist pure Energie – und deshalb umweltschädlich von Jörg Schieb, einem „Internetexperten“ und „Netzkenner“ (laut Selbstbeschreibung), der für den WDR arbeitet und es tatsächlich schafft, mir mit diesem Artikel die Grenzen meiner kognitiven Schmerztoleranz aufzuzeigen.
Ganz viel Schatten beim WDR
Denn es tut wirklich weh, zu lesen, wie dort noch im Jahr 2018 falsche Tatsachen (nein, Grafikkarten sind nicht wegen Bitcoin-Mining ausverkauft), absurde Behauptungen (nein, Bitcoins sind nicht Energie) und wilde Thesen auf Stammtischniveau (doch, Bitcoins haben einen anderen Zweck als die Gier zu befriedigen) zusammengewürfelt werden, um das scheinbar starre Weltbild des Autors zu bestätigen.
Leider drängt sich dadurch jedoch der Eindruck auf, dieser vermeintliche „Internetexperte“ und „Netzkenner“ hat die letzten zehn Jahre in Bezug auf das Thema Bitcoin geistig in einer Höhle verbracht. Was ja durchaus okay wäre, denn jeder darf machen, was er will und niemand muss sich mit Bitcoin auseinandersetzen. Nur darf man dann eben nicht versuchen, einen Beitrag darüber zu schreiben, der diese Kompetenzlücke so deutlich offenbart. Oder man sollte zumindest in der Lage sein, eine ganz einfache Basis-Recherche per Suchmaschine (aka „googlen“) durchzuführen.
Wer googlen kann ist klar im Vorteil
Dann findet man nämlich zum Beispiel diesen Beitrag bei Deutschlandfunk Kultur: Diskussion um Bitcoin – Digitalwährung als Klimakiller oder diesen bei Zeit Online: Bitcoin. Der verkannte Stromfresser oder diesen bei CoinCenter: Five myths about Bitcoin’s energy use, einer namhaften und renommierten Non-Profit-NGO mit Bildungs- und Aufklärungsanspruch.
Was mich aber ebenso besorgt wie der Beitrag selbst, ist, dass solch ein Unsinn im Jahr 2018 beim WDR offensichtlich problemlos alle redaktionellen Instanzen durchläuft und unredigiert(?) online geht. Gestern war halt Karneval, ne? Da kann man sich auch schon mal als „Internetexperte“ verkleiden. Dann muss das auch keiner mehr gegenlesen.
Wenn die Kommentare besser sind als der Artikel
Glücklicherweise bleibt der Beitrag jedoch nicht unkommentiert. Gleich mehrere Leser kritisieren den Beitrag und zeigen in ihren Kommentaren deutlich mehr Fachkompetenz und Recherche-Ambitionen als der Autor selbst.
Dieser hingegen zeigt sich nicht nur uneinsichtig, sondern spricht sich letztlich sogar selbst die journalistische Kompetenz ab. Denn für ihn „… drängt sich die Frage auf, wozu das alles.“
Interessant. Denn warum ist er dann nicht auf der Suche nach einer Antwort auf eben diese durchaus berechtigte und interessante Frage? Genau das ist doch seine Aufgabe als Journalist. Insbesondere, wenn man der „Netzexperte“ im Haus ist. Fragen stellen kann jeder. Gute Antworten zu finden, ist die Herausforderung.
Doch dass es beim WDR mit der journalistischen Sorgfaltspflicht eben nicht so genau genommen wird, zeigt auch die allgemein fehlende Moderation der Kommentare. Dort scheint man jedenfalls problemlos Promo-Reflink-Köder zu irgendwelchen Mining-Angeboten auslegen zu können.
Wie ironisch das ist: Während man oben vollmundig die Energieverschwendung des Minings anprangert, erlaubt man unten in den Kommentaren dubiose Werbung für noch dubiosere Mining-Angebote.
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Licht: Wie man guten Bitcoin-Journalismus macht
Glücklicherweise ist dieser WDR-Beitrag aber derzeit nur einer unter vielen Beiträgen, die sich mit dem Phänomen Bitcoin auseinandersetzen. Einen der besseren hat dabei wiederum Philip Banse kürzlich für Deutschlandfunk Kultur gemacht: Betrug mit Bitcoins.
Den empfehle ich nicht nur den Karnevalisten vom WDR sich mal gut anzuhören, sondern jedem. Denn der ist aktuell, relevant, gut recherchiert und ansprechend aufbereitet. Und das sage ich nicht nur, weil ich da auch kurz zu Wort komme.
Wer jedenfalls die Spannbreite der journalistischen Kompetenz beim Thema Bitcoin im Jahr 2018 erfahren will, sollte beide Beiträge nacheinander lesen bzw. hören. Das zeigt, wie weit Licht und Schatten in diesem Bereich auseinander liegen und dass es noch einiges an Aufklärungsarbeit gibt.
Bild: Hinode Observes 2011 Annular Solar Eclipse (CC BY 2.0)
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