Mit Aaron Koenigs Bitcoin. Geld ohne Staat (Amazon-Partnerlink) ist vor Kurzem das zweite deutsche Buch zum Thema Bitcoin erschienen. Im Gegensatz zu Jörg Platzer, der in Bitcoin kurz & gut. Banking ohne Banken die Grundlagen und Entstehungsgeschichte von Bitcoin vor allem aus einer technischen Perspektive darstellt, geht Koenig das Thema in seinem Buch von einem wirtschaftspolitischen Standpunkt an, der österreichischen Schule der Ökonomie.
Das verspricht eine spannende Auseinandersetzung, steht diese Theorie doch ebenso wie Bitcoin mitunter im direkten Widerspruch zu den Grundlagen der bestehenden globalen Finanzwirtschaft. Doch trotz einiger erzählerisch cleverer Kniffe, kann Koenig diese Erwartungen in Bitcoin. Geld ohne Staat nicht erfüllen. Denn das Buch ist unterhaltsam und kurzweilig. Gerade dadurch bedient es jedoch eines der Haupt-Klischees, dem wirtschaftstheoretisch argumentierenden Bitcoin-Anhängern immer wieder begegnen. An den kritischen Stellen bleibt es zu einfach.
Bitcoin aus der Sicht eines Insiders
Als regelmäßiger Sprecher auf Konferenzen, Organisator des weltweiten Bitcoin Film Festivals und Mitinitiator der Global Bitcoin Alliance gehört Aaron Koenig nicht nur in Deutschland zu den umtriebigsten und bestvernetztesten Bitcoinern. Das ist sein Kapital, das er in Bitcoin. Geld ohne Staat zu nutzen weiß. Denn er nimmt den Leser mit auf seine Bitcoin-thematische Reise um die Welt und lässt ihn teilhaben an den Gesprächen, Erkenntnissen und Meinungen, die er dabei über die Jahre selbst erlebt und gesammelt hat.
Sei es durch Erfahrungsberichte über den Umgang mit Geld in Argentinien, kurzweilige Anekdoten über progressive Blockchain-Projekte wie die erste Bitcoin-Hochzeit oder durch eingestreute Interviews mit einer abwechslungsreichen Auswahl international relevanter Bitcoin-Protagonisten. Dazu gibt es ein paar anwenderfreundliche Tipps zum richtigen Umgang mit Bitcoin.
Diese bunten Episoden sind vielseitig und interessant. Zudem lockern sie den Lesefluss immer wieder angenehm auf und beinhalten auch für belesene Bitcoinern Details und Ereignisse, die man so vorher nicht kannte. Für Bitcoin-Einsteiger fehlen jedoch an der ein oder anderen Stelle erklärende Hinweise. So wären die insgesamt neun Interviews noch wertvoller, wenn die Gesprächspartner nicht nur mit Namen und Bild vorgestellt würden, sondern auch mit einer kurzen Erklärung, in welchem Zusammenhang sie mit Bitcoin stehen und warum gerade sie für dieses Buch relevant sind.
Bitcoin zwischen Thesen und Realität
Trotz dieses Kritikpunkts würden all diese Elemente dennoch eine gute Basis und einen abwechslungsreichen Rahmen für das erwartete Hauptthema des Buches bieten, Bitcoin „aus Sicht der Wiener Schule der Volkswirtschaft“ zu erklären. Nur kommt genau dieser erwartete Hauptaspekt leider viel zu kurz.
Aaron Koenig schlägt zwar immer wieder Brücken von realen Ereignissen zu Bitcoin und ordnet diese anhand der theoretischen Grundlagen der Wiener Ökonomen Ludwig von Mises, Carl Menger und Friedrich von Hayek ein, kratzt dabei jedoch meist nur an der Oberfläche der jeweils passenden Aspekts. Daraus erwächst dann Stück für Stück die These des Buchs, dass der Staat in Zeiten von Bitcoin und Blockchain-Technologie zunehmend überflüssig sei.
Die Argumentation geht an vielen Stellen jedoch zu schnell. Denn meist umgeht Koenig schlichtweg die Herausforderung seine These im Auftrag des Lesers selbst kritisch zu hinterfragen und damit glaubwürdige Alternativszenarien zu dem systemischen Schwächen aufzuzeigen, die er anprangert. Stattdessen bleibt er in der Rolle einer kritisierenden Staats-Opposition, die jedoch den Eindruck erweckt im Ernstfall selbst keine Verantwortung übernehmen zu wollen oder dieses womöglich gar nicht zu können.
Ein Beispiel
So klingt die aus der österreichischen Schule abgeleitete These alle staatlichen Monopole in einen freien Wettbewerb zu überführen auf den ersten Blick spannend. Koenig schreibt:
„Die Grundüberlegung ist, dass eine durch zwangsweise erhobene Steuern finanzierte Polizei und Justiz keinen wirklichen Anreiz zur Vermeidung von Verbrechen hat. Im Gegenteil kann sie ihre Finanzierung am besten dann rechtfertigen, wenn ein ausreichend großes Bedrohungsszenario durch Kriminelle bestehen bleibt. Ein solcher Interessenkonflikt besteht bei privaten Diensten, die nach Erfolg – also der Vermeidung von Verbrechen – bezahlt werden nicht.“ (vgl. S. 178)
Diese These wird jedoch nicht weiter diskutiert und lässt den Leser mit naheliegenden Fragen allein. Zum Beispiel warum eine private Polizei an einer optimalen Verbrechensbekämpfung interessiert sein sollte, wenn auch sie sich damit ja selbst die künftige Arbeitsgrundlage entziehen würde?
Immerhin wäre die beste Strategie, der Logik des freien Marktes folgend, zunächst alle anderen Wettbewerber aus dem Markt zu drängen und anschließend dafür zu sorgen, dass die Verbrechensrate steigt, damit die dann monopolistische Privatpolizei immer mehr Aufträge bekommt. Mal abgesehen davon, dass es gar keine Möglichkeit gibt erfolgreiche Verbrechensbekämpfung verlässlich zu messen (vgl. BND-Affäre) und die meisten Menschen wohl aus guten Gründen niemals einer „Unternehmenspolizei“ zustimmen würden.
Berechtigte Fragen bleiben ohne Antworten
Aber auch an anderen Stellen bleibt Koenig Antworten auf offensichtliche Fragen schuldig. Denn Kulturförderung, den ÖPNV und das Sozialsystem nicht mehr durch „Zwangssteuern“, sondern auf freiwilliger Basis finanzieren zu wollen (vgl. S 182), ist zwar eine schöne, aber leider utopische Fantasie.
Dafür reicht ein kurzer Blick auf die Realität. Wer würde ernsthaft behaupten, dass bspw. das Privatfernsehen ein Garant für kulturelle Qualität wäre? Vielmehr sind genau diese Akteure sogar dafür verantwortlich, dass es, Stichwort Löschfristen im Rundfunkstaatsvertrag, zu einer künstlichen Verknappung von vormals frei zugänglichen Informationen kommt.
Ein anderes Beispiel für die Bedeutung kommunaler Verantwortung ist die gescheiterte Privatisierung der Wasserversorgung in Berlin. Weil das dort direkt zu schlechteren Bedingungen für die Menschen geführt hat, wurde mittlerweile der Rückkauf durch das Land Berlin durchgesetzt.
Und auch ob ein Sozialsystem auf Freiwilligkeit funktioniert, ist fragwürdig. Denn wer zu Hause einen pflegebedürftigen Angehörigen hat, will wohl kaum darauf angewiesen sein, dass sich der gesunde und wohlhabende Nachbar nebenan jeden Monat aufs Neue zwischen freiwilligen Sozialabgaben und einem neuen iPhone (alternativ Urlaub, Auto etc.) entscheiden können soll.
Rechte ohne Pflichten sind eine Utopie
Die Frage, wie sich eine faire und gerechte Gesellschaft gestalten lässt, ist komplex und seit Menschengedenken umstritten. Bitcoin. Geld ohne Staat liefert für diese Debatte wenig neue Impulse.
Gerade das macht das Buch aber in sich stimmig. Denn das politische Ideal, das Aaron Koenig beschreibt, ist nun einmal vor allem auf Freiheit fixiert. Und dazu gehört auch die Freiheit sich jederzeit aus der Verantwortung ziehen zu können.
Das ist jedoch fatal. Denn im Kontext der Erkenntnisse eines seit mehr als 2000 Jahren gewachsenen theoretischen und praktischen Diskurses über Gesellschaft, Politik und Wirtschaft wirkt die Forderung nach Rechten ohne Pflichten pubertär und bestätigt letztlich die Kritik, dass die ökonomischen Theorien, die Bitcoin zu Grunde gelegt werden, oftmals viel zu einfach und zu kurz gedacht sind. Diesen Vorwurf zu entkräften, gelingt auch Aaron Koenig nicht.
Fazit: Lesenswert, aber …
Bitcoin. Geld ohne Staat zeigt daher nicht wie im Untertitel versprochen „die digitale Währung aus Sicht der Wiener Schule der Volkswirtschaft“, sondern Bitcoin im Kontext der wirtschaftspolitischen Weltanschauung von Aaron Koenig. Dennoch – auch das ist interessant, wenn man verstehen will, wie ein Großteil der frühen Enthusiasten und heute mitunter recht einflussreichen Bitcoiner in der westlichen Welt ticken.
Bitcoin. Geld ohne Staat. Die digitale Währung aus Sicht der Wiener Schule der Volkswirtschaft. (Amazon Partnerlink)
Alternativen
Eine Übersicht zu alternativen Büchern zum Thema Bitcoin gibt es in der Bitcoin-Mediathek im Bereich „Bücher und Literatur“.
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