Ich war die vergangenen Tage mal wieder in Berlin, um auf der Blockchain und Smart Contract-Konferenz einen Grundlagen-Workshop zu Bitcoin und der Blockchain zu geben. Dieser war ernüchternd und erfreulich gleichermaßen.
Ernüchternd, weil wir tatsächlich wieder einmal mehr als zwei Stunden warten mussten, bevor die Bitcoin-Transaktionen der Teilnehmer von den Paper Wallets in ihre mobilen Wallets vom Netzwerk bestätigt wurden. Wobei im Grunde ja auch das ein Ergebnis ist: Bitcoin ist angesichts des steigenden Kurses zur Zeit zwar eine interessante Wertanlage, aber keine verlässliche Bezahl-Option. Zumindest, wenn man nicht unbegrenzt Zeit hat oder keine großen Geldbeträge verschicken will.
Der dafür umso erfreulichere Teil war jedoch, wie gut die TeilnehmerInnen die Wartezeit für eine wirklich substantielle Diskussion über Bitcoin (das Geld, die Technologie und das Phänomen) und verschiedene „Blockchain“-Konzepte nutzten. Was aber wiederum auch die breite Expertise begünstigt, wenn Vertreter von Banken, der Industrie, Energiewirtschaft, der Datenverarbeitung, Steuerbranche, Forschung, Lehre und Aufsichtsbehörden an einem Tisch zusammenkommen.
Im kleinen Kreis hat sich in unserem Workshop damit direkt gezeigt, was später auch der Vertreter der EZB in seinem Vortrag formulierte: „Blockchain ist eines der wenigen Phänomene, das nahezu alle Bereiche gleichermaßen betrifft und beschäftigt.“
„Blockchain“ auf dem Weg zum ISO-Standard
Und in genau diesem Kontext gewann wiederum später im Programm eine eher beiläufig gefallene Bemerkung besondere Bedeutung: Auf Initiative aus Australien hat die International Organization for Standardization (ISO)mit ISO/TC 307 ein Komitee ins Leben gerufen, das Definitionen und Standards für „Blockchain and electronic distributed ledger technologies“ erarbeiten soll.
Aufgabenbereich von ISO/TC 307:
„Standardization of blockchains and distributed ledger
technologies to support interoperability and data
interchange among users, applications and systems.“
Während sich bei dem ein oder anderen Zuhörer in dem Moment aus Angst vor einer überzogenen Bürokratisierung „direkt die Füßnägel aufrollten“ , halte ich das nicht nur für einen logischen und letztlich unausweichlichen Schritt, sondern auch für einen sinnvollen.
Denn es liegt in der Natur der Open-Source-Sache, dass es wohl niemals wieder nur eine einzige Blockchain geben wird. Vielmehr ist zum jetziger Stand das wahrscheinlichste Szenario, dass sich neben der Bitcoin-Blockchain wenige andere „echte“ Blockchains (offen, beschränkungsfrei, unveränderbar etc.) etablieren werden.
Plus eine Vielzahl spezialisierter Pseudo-Blockchains. Also Projekte, die in irgendeiner Weise „Blockchain-Technologie“ oder „distributed ledger technology“ einsetzen und für ihren jeweiligen ganz bestimmten Anwendungsfall womöglich tatsächlich die beste Lösung darstellen, auch wenn sie mit der ursprünglichen Idee einer „echten“ Blockchain nicht mehr viel zu tun haben, aber damit womöglich, wie viele andere Programme, Daten und Nutzer, interagieren müssen.
Das „Blockchain“-Mysterium braucht einheitliche Definitionen
In solch einem hochgradig fragmentierten, sich beständig wandelnden und wachsenden Umfeld frühzeitig einheitliche Standards und Definitionen auszuarbeiten, die die Interoperationalität verschiedener Ansätze langfristig sicher stellen, ist ein rationaler und notwendiger Schritt, von dem letztlich alle profitieren: Entwickler, Gründer und auch die Nutzer.
Auch die Gefahr einer vorschnellen Bürokratisierung und Regulierung von oben herab sehe ich nicht. Denn letztlich müssen sich die theoretisch ausgearbeitet Standards an der Realität messen lassen und beweisen, dass sie dem Status Quo ausreichend berücksichtigen. Sollten eine Blockchain-Definition später bspw. nicht Bitcoin-kompatibel sein, wäre das nicht das Problem von Bitcoin, sondern der Definition. Sie würde sich selbst ad absurdum führen, ansonsten aber nichts ändern.
Einer muss es machen, sonst macht es keiner
Noch viel wichtiger finde ich jedoch die Frage, wer es sonst machen sollte? Denn es steht außer Frage, dass es unbedingt zu verhindern gilt, dass sich in verschiedenen Teilen der Welt unterschiedliche Definitionen des Begriffs „Blockchain“ und wie man damit idealerweise umgehen sollte, herausbilden.
Doch wie soll sich ein dezentrales Ökosystem in diesem Punkt einig werden? Man könnte einfach abwarten und schauen, was sich schlussendlich durchsetzt. Die seit Jahren währende Blocksize-Debatte um die Skalierbarkeit der Bitcoin-Blockchain zeigt aber prototypisch, wie langwierig, aufreibend und ineffizient dieser Prozess sein kann.
Wenn sich also jemand bereit erklärt, sich die Mühe zu machen, sollte man das erst einmal als hilfreichen Schritt sehen. Man muss die Standards später ja nicht akzeptieren. Diese Wahlmöglichkeit ist jedenfalls 100-prozentig Bitcoin-kompatibel.
Über 30 Länder sind an „Blockchain“-Standards interessiert
Das internationale Interesse, diese Aufgabe anzugehen, ist jedenfalls groß. 16 Länder nehmen aktiv am ISO/TC 307-Komitee teil, weitere 17 sind Beobachter. Anfang April findet in Sydney dann das erste Treffen statt.
Um die deutschen Interessen dort zu repräsentieren, wurde im Rahmen des DIN-Gremiums Blockchain und Technologien für verteilte elektronische Journale die Vertretung bereits gewählt. Es gibt online leider kein Protokoll der Sitzung. Aber da das DIN-Gremium potentiell jedermann offen steht, gehe ich davon aus, dass das keine reine „Behördendelegation“ ist. Darauf lässt zumindest auch dieses Datei-Archiv schließen, das die Vorträge des ersten DIN-Treffens beinhaltet.
Standardisierung ist auch Lobbyarbeit
Sich dort einmal durchzuklicken, ist durchaus interessant. Denn neben den offiziellen Präsentationen des DIN e. V., die den Sachverhalt ISO/TC 307 und die zugehörigen Arbeitsprozesse noch einmal erläutern, finden sich dort auch die Präsentationen von anderen Teilnehmern, die ihre Interessen zum Thema „Blockchain“ frühzeitig in die entsprechenden Gremien eingebracht wissen und den Standardisierungsprozess entsprechend mitgestalten wollen. Darunter u. a. die BaFin, T-Systems, IBM und Ascribe/BigchainDB.
Ein gewisse kritische Distanz gegenüber den potentiellen Ergebnissen angesichts dieser finanzkräftigen Wirtschaftslobby ist daher angebracht. Dennoch sehe ich auch hier noch keinen Grund zur Beunruhigung. ISO/TC 307 steht noch ganz am Anfang und mit Ergebnissen ist frühestens in 36 Monaten zu rechnen. In Bitcoin- und Blockchain-Zeitrechnung ist das eine halbe Ewigkeit.
Schreibe einen Kommentar